Die Welt mit anderen Ohren begreifen
Von allen menschlichen Sinnen ist das Gehör das, was beim Embryo als erstes ausgebildet wird. Wir hören also bereits bevor wir auf die Welt kommen. Kaum etwas prägt uns demnach so, wie unsere Sprache.
Vor etwa 8.000 Jahren veränderten sich die meisten Sprachen von prozessorientierten Sprachen hin zu eher statischen Ausdrucksformen. Es entstanden Mittel, mit denen wir kategorisieren und uns mit anderen vergleichen konnten. So fielen Entscheidungen, wer belohnt oder bestraft wird leichter. Und das war in einer Welt, die von Hierarchien geprägt wurde schlicht dienlicher. Es herrschten Könige, Kaiser, Geistliche. Männer bestimmten über Frauen, Erwachsene über Kinder und die eine Gruppierung über eine andere. Noch immer sind diese Strukturen fest in uns verankert, weshalb auch unsere Denkmuster selbstverständlich diesem Schema folgen.
Wenn wir nun aber den Blickwinkel wechseln und unser Leben nicht dadurch definieren, dass wir einem uns höher gestellten Menschen dienen, sondern dass alle Menschen gleichwertig sind, dann brauchen wir eine neue Sprache, die unsere Haltung unterstützt.
Eine neue Sprache zaubert natürlich niemand einfach so aus dem Hut, es ist eine Entwicklung und jeder der die neue Sprache lernen möchte, kann bei sich beginnen.
Wir können versuchen anders zu sprechen, wir können aber vor allem auch versuchen anders zu hören!
Marshall B. Rosenberg ist der Begründer der Gewaltfreien Kommunikation, auf dessen Theorien und Haltung meine Arbeit beruht. Rosenberg hat die Giraffe als Symbol für die empathische, achtsame, gewaltfreie Sprache und den Wolf für die verurteilende, an Hierarchien ausgerichtete, gewaltvolle Sprache benutzt.
Die Wolfssprache kennen wir alle aus unserem Alltag. Es sind die Urteile, die blitzschnell in unserem Kopf auftauchen, wenn wir jemanden sehen, etwas hören oder über uns selbst denken.
In der Wolfssprache gibt es Vorwürfe, Forderungen, Recht haben wollen, Druck machen, Schuld zuweisen, auslachen, schweigen...
Die Giraffe hingegen, betrachtet die Welt mit einem gewissen Abstand. Sie gibt sich selbst den Raum, ihre Gefühle und Bedürfnisse wahrzunehmen, um so auf konstruktive Weise zu kommunizieren.
Wenn wir mit Giraffenohren hören, dann können wir uns selber besser hören.
Wir können uns die Zeit nehmen, etwas gehörtes einzuordnen, zu schauen, was macht das gerade mit mir. Was verändert sich an mir, wenn ich das höre. Was fühle ich und was brauche ich?
Wenn ich nach einem langen Arbeitstag nach Hause komme und mein Partner fragt: Warum kommst du so spät, hättest du nicht wenigstens kurz Bescheid sagen können?
Dann weckt das in mir zunächst den Wolf, der sagt: Hallo, ich freue mich auch dich zu sehen! Warum bluffst du mich so an, meinst du ich stehe freiwillig im Stau? Das muss ich mir echt nicht geben. Und gehe schweigend weg.
Mit Giraffenohren könnte ich auch so reagieren (in Gedanken oder auch laut): Wow, das trifft mich jetzt aber. Ich merke, dass mein Nacken ganz hart wird und ich mich verkrampfe. Ich bin total müde und wütend und bei so einer Begrüßung werde ich auch traurig, denn ich hatte so gehofft, dass ich mich nun, am Ende des Tages endlich entspannen könnte und mein Partner sich freut, dass ich endlich zuhause bin. Ich brauche dringend Entspannung. Harmonie wäre auch sehr hilfreich und ein Bisschen Verständnis dafür, dass ich einen langen Tag hatte.
Allein die Tatsache, diese körperlichen und emotionalen Empfindungen wahrzunehmen führt dazu, dass wir ruhiger werden und den gesagten Satz mit etwas mehr Abstand betrachten können. So dass wir hören können, was unser Partner wirklich damit meint. Wie er sich fühlen mag und was er brauchen könnte. Um das zu klären, gehen wir mit ihm ins Gespräch und zwar in ein wertschätzendes, achtsames Miteinander, in dem beide Partner und ihre Bedürfnisse gleichwertig sind.
Vielleicht möchte mein Partner wissen, warum ich so spät komme. Vielleicht war bei ihm auch einiges los. Ich versuche es also: “Hallo, du fragst dich warum ich so spät komme? Du hättest dir gewünscht, dass ich Bescheid sage? Hast du dir Sorgen gemacht? Oder hattest du noch Pläne? Es war sehr viel Verkehr und ich hatte den Kopf noch so voll, dass ich leider gar nicht daran gedacht habe, wie es dir geht, wenn ich später komme. Das tut mir Leid. Mir sind deine Bedürfnisse wichtig und ich möchte, dass du weißt, dass du dich auf mich verlassen kannst.
Viele GfK-Trainer beginnen ihre Vorträge mit den 4 Schritten Beobachtung, Gefühl, Bedürfnis, Bitte. Für mich ist die Haltung die wichtigste Sache in der GfK. Eine Haltung voller Selbstliebe, Selbstachtung, Selbstfürsorge, Achtsamkeit und Empathie. Besonders bei uns nahe stehenden Menschen gilt: Ich kann zu jemand anderem nicht besser sein als zu mir selbst.
So lange ich mich für meine Gedanken, Worte und Handlungen verurteile, kann ich die Worte und Handlungen meines Gegenübers nicht wertfrei betrachten.
Eine besonders wertvolle Erkenntnis war für mich auch, dass ich allein dafür verantwortlich bin, welchen Gedanken ich Kraft und Glauben schenke.
Wenn ich nach einem langen Arbeitstag nach hause komme und noch im Auto daran denke, dass nun die Hausarbeit, ein nörgelnder Partner und müde Kinder auf mich warten, dann wird es gewiss kein entspannter Abend und Bedürfnisse wie Entspannung, Ordnung, Harmonie und Verbundenheit werden garantiert nicht erfüllt! Wenn ich stattdessen kurz inne halte, mir einen kurzen Moment der Ruhe gönne, mir Selbstempathie schenke und Anerkennung für das, was ich am Tag bereits geleistet habe, vielleicht noch den Müll aus meinem Auto mitnehme, um mein Bedürfnis nach Ordnung schon mal ein Bisschen erfüllt zu haben und erst dann das Haus betrete, dann stehen die Chancen gut, dass ich genügend Kraft habe, auch meinen Liebsten mit Wohlwollen und Wertschätzung zu begegnen.
Bevor ich diese Erkenntnis hatte und verstanden habe, dass es unzählige Strategien gibt, um unsere Bedürfnisse zu erfüllen, habe ich oft versucht meine Emotionen zu unterdrücken und zu funktionieren. Und wenn es dann beim Abendessen mal wieder geknallt hat, dann weil ich insgeheim auch von allen anderen erwartet habe, dass sie funktionieren. Was natürlich sinnlos ist.
Nur wenn wir selbst in unserer Mitte sind, weil wir gut für uns sorgen, dann sind wir auch in der Lage die anderen zu sehen, sie mit Giraffenohren zu hören und hinter die Bedürfnisse zu kommen, die erfüllt werden wollen.
In der Gewaltfreien Kommunikation gibt es folgende Grundannahmen, die uns helfen mit Giraffenohren zu hören und durch unser Herz zu schauen:
Bedürfnisse sind der Antrieb all unseren Handelns.
Jeder Mensch tut in jeder Situation immer das Beste, was ihm gerade möglich ist.
Menschen sind von Natur aus auf Kooperation ausgelegt - wir möchten also zur Erfüllung der Bedürfnisse anderer beitragen, sofern wir das freiwillig tun können und die Handlung nicht im Widerspruch zu unseren eigenen Bedürfnissen steht
Alle Menschen haben die gleichen Bedürfnisse nur zu unterschiedlichen Zeiten und es gibt unendlich viele Strategien sie zu erfüllen.
Menschen können selbst entscheiden, wie sie die Welt sehen und haben immer eine Wahl.
Andere Menschen sind lediglich der Auslöser für unsere Gedanken und Gefühle, niemals die Ursache.
Wir sind verantwortlich für das was wir tun und sagen, nicht für die Reaktion der anderen darauf. - Denn sie sind selbst für Ihre Gedanken und Gefühle verantwortlich.
Die Erkenntnis, dass ich nur für meine Gedanken und Gefühle verantwortlich bin, immer eine Wahl habe und die Reaktionen anderer nicht in meinem Ermessen liegen haben mir Vieles erleichtert.
Auf den 7. Punkt jedoch möchte ich näher eingehen, denn er kann leicht so verstanden werden, als sei es egal, was ich mit meinen Worten auslöse. Dem ist nicht so. Wenn jemand traurig oder wütend wird weil er von mir etwas gehört hat, was diese Gefühle in ihm ausgelöst haben, dann kann ich ihm Empathie geben. Ich kann ihn auch bitten, mir zu sagen, womit ich diese Gefühle ausgelöst habe und wenn er eine andere Botschaft gehört hat als ich rüberbringen wollte, habe ich die Chance, dies zu korrigieren oder dazu beizutragen, seine unerfüllten Bedürfnisse zu erfüllen.
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